Rezension
Die einzigen, die sich bisher intensiv mit Faszien beschäftigen, sind die Chirurgen, die orthopädisch oder unfallchirurgisch tätig sind. Sie wissen, dass wenn sie einen Muskel durchschneiden (optimalerweise in Faserrichtung), um zum Beispiel an den darunter liegenden Knochen heranzukommen, sie am Ende der Operation, beim Zunähen, die über dem Muskel liegende Schicht, die Faszie sorgfältig verschließen müssen. Nur so kann der Muskel darunter optimal funktionieren. Im anderen Fall kann es zu Muskelhernien kommen: dabei wölbt sich der Muskel ähnlich wie bei einem Leistenbruch durch die Faszienlücke hervor. Dies kann entweder bei der Kontraktion oder Relaxation des Muskels passieren.
Die Muskelfaszien, die Muskeln oder manchmal Muskelgruppen umgeben, bestehen aus einem straffen Bindegewebe und dienen unter anderem zur Formgebung der Muskeln. Sie grenzen auch die Muskeln untereinander ab und erlauben so die Bewegung jedes einzelnen Muskels gegenüber seinem Nachbarn.
In den letzten Jahren haben sich viele Forscher mit der Faszie beschäftigt und weitere Eigenschaften dieses Gewebes entdeckt. Einer von ihnen ist Dr. Robert Schleip, der Leiter der Forschungsgruppe „Fascia research Project“ an der Universität Ulm ist. Als langjähriger Therapeut (Humanbiologe, Diplom-Psychologe, Feldenkrais-Lehrer, Rolfer) hat er sich intensiv mit dem menschlichen Körper beschäftigt, was Körperhaltung, Faszien und Muskulatur betrifft. Als Dozent hält er Vorträge im Bereich Physiotherapie, Osteopathie, Trainingswissenschaften und Rolfing. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler und Körpertherapeuten aus der ganzen Welt hat Dr. Schleip die Faszienforschung stark beeinflusst und voran getrieben.
In seinem Buch “ Faszien-Fitness: Vital, elastisch, dynamisch im Alltag und Sport“ (Riva-Verlag) demonstriert er, wie man im Alltag und im Sport etwas für sein Bindegewebe tun kann, und das nur in wenigen Minuten zweimal pro Woche. Die Faszien spielen eine wichtige Rolle als Sinnesorgan, da sie mit vielen verschiedenen Arten von Rezeptoren ausgestattet sind, die laufend Informationen an das Hirn weiterleiten, z.B. über die Lage, der Dehnungszustand eines Muskels, Organs oder Körperteils. Sie übertragen die Kraft der Muskeln und sorgen auch für einen Stoffaustausch mit den inneren Organen. Sie sind das größte Sinnesorgan und entscheidend für die Körperwahrnehmung. Sie bilden somit ein körperweites Signalnetzwerk und können bei Verklebungen und Vernarbungen Probleme auslösen. So ist die tiefe Rückenfaszie dicht mit Schmerzrezeptoren besiedelt und teilweise Auslöser von Rückenschmerzen.
In seinem Buch vermittelt Dr. Schleip interessante Informationen über die Anatomie und Physiologie des Bindegewebes. Auch zeigt er wie Faszien und Muskeln zusammenspielen, wie sich Faszienbahnen bilden und somit als komplexes Netzwerk den Bewegungsablauf des Menschen kontrollieren.
In einem weiteren Kapitel werden dann die vier Prinzipien des Faszientrainings erklärt (Dehnen, Federn, Spüren und Beleben), die die vier Grundfunktionen der Faszien anregen sollen (Formen, Bewegen, Kommunizieren und Versorgen). Es werden dabei konkrete Übungen gezeigt, die die Eigenschaften der Faszien unterstützen und sogar verbessern können.
In einem weiteren Kapitel wird demonstriert, wie die Ergebnisse der Faszienforschung eingesetzt werden von Physiotherapeuten in der manuellen Therapie, beim Yoga, Rolfing, Pilates, in der Osteopathie oder Akupunktur.
Insgesamt handelt es sich um ein interessantes und gelungenes Buch, das zunächst die aktuellen Ergebnisse der Faszienforschung demonstriert, auch durchaus für Laien sehr verständlich und dann konkrete Faszienübungen zeigt, die sich leicht ins tägliche Training integrieren lassen. Es zeigt, dass der menschliche Körper ein mit vielen Sensoren ausgestattetes Wesen ist, das aus mehr als nur Muskeln und Knochen besteht. Will man einen positiven Einfluss auf ihn haben und das Körperbewusstsein steigern, sollte man das Bindegewebe in das Training mit einbeziehen.