Was das Schmerzgedächtnis bedeutet und wie man es überlisten kann
Das Schmerzgedächtnis kann sich bei chronischen Schmerzen bilden. Viele Patienten mit Arthrose kennen die Situation: die Gelenkschmerzen sind chronisch geworden. Das Schmerzgedächtnis entsteht im Gehirn und Rückenmark und ist mit bildgebenden Verfahren nachweisbar. Das Problem des Schmerzgedächtnisses ist, dass sich die Schmerzwahrnehmung verselbstständigt. So reicht es bereits aus, nur an einen Faktor zu denken, der den Schmerz auslöst und schon spürt man eine verstärkte Schmerzwahrnehmung. Ein Beispiel hierfür wäre der Gedanke an die Bewegung oder Berührung des schmerzenden Gelenks. Je länger die Schmerzen andauern, desto intensiver arbeitet das Schmerzgedächtnis.
Wesentlich beteiligt an diesem Vorgang ist die Sensibilisierung des Nervensystems in mehreren Bereichen. Denn Nervenzellen sind genauso lernfähig wie das Gehirn. Daher gehen Forscher davon aus, dass das Nervensystem über ein Schmerzgedächtnis verfügt und dieses für die Chronifizierung der Schmerzen verantwortlich ist. Anhaltende und wiederholt auftretende Schmerzen können die neuronale Funktionalität verändern. Auch wenn Nervenfasern beispielsweise entzündet sind, übermitteln sie weiter Schmerzimpulse. Die Schmerzimpulse versetzen angrenzende Nerven oder Fasern im Rückenmark in einen permanenten Alarmzustand. Auf diese Weise werden sie für ankommende Reize sensibilisiert. Und zwar auch dann, wenn die ankommenden Reize gar keine Schmerzen mehr verursachen würden. Der Auslöser fehlt, der Schmerz bleibt. Schmerzforscher zeigten, dass die Veränderungen in den Nervenzellen biochemisch feststellbar sind. Serotonin – ein bestimmter chemischer Botenstoff – ist im Gehirn verringert. Nicht nur das: die veränderten Nervenzellen hinterlegen sogar ihre Spuren im Zellaufbau.
Die Entstehung von chronischen Schmerzen wird durch verschiedene körperliche und psychische Faktoren beeinflusst. Hierzu gehören beispielsweise häufige Schmerzzustände und Operationen. Aber auch Depressionen begünstigen chronische Schmerzen. Die Schmerzforscher konzentrieren sich aktuell bei ihrer Arbeit auf strukturelle und funktionelle Vorgänge an Dendriten (astartiger Fortsatz der Nervenzelle, der elektrische Impulse aufnimmt und sie zum Soma der Nervenzelle weiterleitet) und ihren kleinen Fortsätzen, den Spines.
Leider ist es nicht so, dass sich die Schmerzwahrnehmung mit der Zeit verliert. Im Gegenteil: Sie ist umso stärker, je öfter die Schmerzen auftreten.
Eine Möglichkeit, dem Schmerzgedächtnis vorzubeugen, ist eine frühzeitige Behandlung des akuten Schmerzes. Auch leiden Schmerzpatienten nicht nur an Schmerzen. Sie sind auch in ihrer körperlichen Beweglichkeit und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die verringerte geistige Leistungsfähigkeit zeigt sich unter anderem an Problemen der Merkfähigkeit oder nachlassenden Aufmerksamkeit.
Das Schmerzgedächtnis umprogrammieren
Patienten mit chronischen Schmerzen haben permanent Angst vor neuen Schmerzen. Die Angst vor dem Schmerz und der aus dieser Angst hervorgehende Stress gelten als wichtigste Symptome des chronischen Schmerzes. Diese psychischen Aspekte gelten heute, wie der Schmerzforscher Walter Zieglgänsberger darlegt, als wesentliche Komponente der Schmerzverarbeitung. Wie der einzelne mit dem Schmerz umgeht, wie er ihn verarbeitet, hängt dabei sowohl von seiner persönlichen Einstellung als auch von gentischen Faktoren ab.
Das Schmerzgedächtnis kann nicht einfach gelöscht werden. Die modere Schmerztherapie setzt daher auf einen sogenannten multimodalen Ansatz. Bei der multimodalen Schmerztherapie arbeiten verschiedene Berufsgruppen gemeinsam Hand in Hand. Beispielsweise Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten. Durch intensiven Austausch miteinander können die einzelnen Therapiebausteine besser miteinander vernetzt werden. Die multimodale Schmerztherapie bedient sich der Lernfähigkeit des Gehirns. Aus diesem Grund setzt sie unter anderem auf sogenanntes „Re-Learning“. Beim „Re-Learning“ wird das Schmerzgedächtnis unter Mitarbeit des Patienten umprogrammiert. Der Patient wird angeregt, Aktivitäten oder auch Tätigkeiten durchzuführen, die ihm zuvor aufgrund seiner Schmerzen nicht mehr möglich waren. Auf diese Weise erfährt er, dass diese Aktivitäten nun weniger schmerzhaft sind als früher. Das neue positive Erlebnis prägt sich ein und überschreibt das negative „Erfahrungsprogramm“ des Schmerzgedächtnisses. Patienten mit Arthrose könnten beispielsweise in Absprache mit ihrem Arzt nach einer Schmerzbehandlung zum Beispiel versuchen, wieder längere Spaziergänge, leichte Einkäufe oder Erledigungen zu Fuß zu unternehmen oder schwimmen zu gehen.
Weitere Bestandteile der multimodalen Schmerztherapie sind die medikamentöse Therapie beziehungsweise eine Beseitigung des schmerzauslösenden Ereignisses (Bandagen etc.) und eine Psychotherapie sowie Behandlungen, die auf Beseitigung beziehungsweise Linderung der Schmerzproblematik (beispielsweise Osteopathie oder Rolfing) selbst zielen.
Bei der medikamentösen Schmerztherapie stehen dem Arzt verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Bei Arthrose werden in der Regel die sogenannten Nicht-Opioidanalgetika (nicht steroidale Analgetika, NSAR) eingesetzt. Diese Medikamentengruppe hat sich insbesondere bei entzündlichen Schmerzen bewährt. Bei längerem Einsatz – besonders bei älteren Menschen, die schon mehrere Medikamente einnehmen müssen – können diverse Neben- und Wechselwirkungen auftreten.
Fazit: Chronische Schmerzen müssen nicht ausgehalten werden. Es gibt die Möglichkeit, das Schmerzgedächtnis umzuprogrammieren. Unterstützung finden Patienten bei ihrem Arzt oder bei Ärzten mit der Zusatzausbildung in Schmerztherapie. Zudem können Patienten in Schmerzzentren Unterstützung finden.