Menschen, die an Rückenschmerzen leiden, zeigen andere Bewegungsmuster als Menschen ohne Rückenschmerzen. Die Bewegung bei Rückenschmerzen wird nicht nur durch den Schmerz beeinflusst, sondern auch durch die Angst davor. Und diese Angst vor dem Schmerz scheint eine wesentliche Rolle dabei zu spielen, wenn Schmerzen chronisch werden.
In den Industrienationen hat nur eine relativ kleine Anzahl an Menschen – rund 20 Prozent –niemals Rückenschmerzen. Alle anderen leiden mindestens einmal im Leben an Rückenschmerzen – verursacht werden diese beispielsweise durch das Tragen von schweren Gegenständen oder Stress. Bei den meisten Patienten hält der Schmerz sechs bis zwölf Wochen an. Doch bei einigen Patienten verläuft der Rückenschmerz chronisch. Warum das so ist, konnte bis jetzt noch nicht geklärt werden. Die schlechten Heilungschancen bei chronischem Rückenschmerz stellen oft eine zusätzliche Belastung dar, denn die Patienten sind dadurch oft längerfristig auf Schmerzmittel angewiesen.
Ein Team um Yves Henchoz der Universität in Quebec (Trois-Rivieres, Kanada) wollte herausfinden, welche Bedeutung dem Gefühl ‚Angst‘ beim Übergang von akuten zu chronischen Rückenschmerzen zukommt. Die Wissenschaftler untersuchten, ob Angst die Rumpfmuskulatur beeinflusst und sich auf die Bewegungsausführung auswirkt. Hierzu forderten sie je 22 Personen mit chronischen Rückenschmerzen und 22 ohne Rückenschmerzen auf, den Oberkörper nach vorne zu beugen und ihn danach wieder aufzurichten. Während die Probanden die Aufgabe ausführten, wurden ihnen Hitzereize im unteren Rückenbereich verabreicht. Der Hitzereiz hatte drei Intensitätsstufen: schmerzlos, leicht schmerzhaft und schmerzhaft. Vor jedem Hitzereiz wurde den Teilnehmern gesagt, wie stark der Schmerz sein würde, den sie zu erwarten hätten.
Angst vor Schmerzen führt zu reduzierter Muskelanspannung
Während des Versuchs erfassten die Wissenschaftler die Rumpfbewegung und die Muskelaktivität im Lendenbereich. Die Ergebnisse überraschten: Die Personengruppe ohne chronischen Schmerz wurde von der Angst vor dem Schmerz am stärksten beeinflusst. Je höher der zu erwartende Schmerzreiz war, desto stärker spannten sie ihre Muskeln an. Anders die Situation bei den Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Bei dieser Gruppe war die Muskelanspannung geringer. Die Schmerz-Patienten nehmen also auch, so die Interpretation der Wissenschaftler, bei einem schmerzlosen Hitzereiz Schmerzen war. Sie befinden sich in einem negativen Schmerzkreislauf. Durch ihre Angst vor dem mit der Bewegung verbundenen Schmerz verringern sie ihre Beweglichkeit. Und die eingeschränkte Beweglichkeit führt dazu, dass der Schmerz anhält.
Insgesamt absolvierten die Teilnehmer 27 Übungen. Bei sechs der Übungen machten die Wissenschaftler falsche Angaben über den zu erwartenden Schmerzreiz. Nach Ankündigung eines leichten Hitzereizes erfolgte ein schmerzhafter Hitzereiz. Beide Gruppen erlebten den Hitzereiz durch die falsche Vorankündigung als weniger schmerzhaft.
Das Forschungsteam konnte durch die Studie zeigen, dass Angst vor dem zu erwartenden Schmerz eine wesentliche Rolle bei der Chronifizierung von Schmerzen zukommt. Würden Patienten die Angst vor einem zu erwartenden Schmerz verlieren, wären ihre Schmerzen möglicherweise weniger stark.
Quelle(n):
Henchoz et al., Spine J, 2013